«Eine Form von Zerfleischung»

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An einem frühlingshaften Abend treffen wir Rochus Lussi und Evelyne Walker in der Galerie Vitrine in Luzern. Wir plaudern, die Stimmung ist heiter. Rochus und Eve sind nicht nur Künstler und Galeristin mit Herzblut, sie kennen sich schon lange und sind gut befreundet. Genau so, sollte Galerie und Kunst zusammenarbeiten. Zudem durften wir – ganz exklusiv ! – einen kurzen Wortwechsel mit der Galeristin Evelyne Walker führen. Darüber, wie sie Rochus kennengelernt hat und wie sich Wirtschaft und Kunst in eine Balance bringen lassen.

Neve Regli: Wie haben sich Rochus und du kennengelernt?
Evelyne Walker: Ich sah 2006 eine Ausstellung im «Das Ding» von Brigitte Steinemann und Lotti Lötscher und war total begeistert. Da habe ich das erste Mal das Gespräch mit Rochus gesucht und seit 2016 arbeiten wir zusammen. Es ist mir sehr wichtig, eine gute Beziehung zu den Künstler*innen zu haben.

NR:
Wie ging das Kuratieren hier vor?
EW: Rochus erzählte mir von seinen neuen Projekten und Ideen, an welchen er gerade arbeitete, und ich war begeistert. Die neue kleine Werkserie «Türklopfer», sind meine Lieblinge, am liebsten möchte ich Alle (lacht).
Natürlich darf es nicht nur mir gefallen, ich muss leider auch immer wirtschaftlich denken. Ohne Kunstkaufeinnahmen, existiert kein Galeriebetrieb. Ich versuche immer eine Balance zu finden mit meiner Auswahl der Werke zusammen mit den Kunstschaffenden, meinem Leben, und der momentanen finanziellen Lage. Wir haben zusammen eine eindrückliche Ausstellung geschafft mit vielen erfreulichen Rückmeldungen, darüber bin ich sehr glücklich.
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NR: Wir sehen in der Galerie hauptsächlich Objekte in Holz, wie bist du auf das Material gestossen, Rochus?
Rochus Lussi: Dies ist zu einem Teil ortsbezogen, da die Arbeit mit Holz, auch in der Kunst, in der Zentralschweiz eine gewisse Tradition hat. Ich bin in der Zentralschweiz in einem ländlich-naturbezogenen Umfeld aufgewachsen und hatte somit schon früh Kontakt mit diesem Material. Zudem gefällt mir dieses «nicht-designte», es kommt ein roher Holzstamm in mein Atelier, dessen «Verendungsprozess» lediglich gestoppt wurde. In meinem Atelier verarbeite ich ihn dann zu meinen Arbeiten.

NR: Du stellst hier in der Galerie Vitrine aus, was ist der erste Gedanke, der dir durch den Kopf geht, wenn du den Raum betrittst?
RL: Es ist natürlich ein Unterschied, hier in der Galerie von Evelyne Walker auszustellen, als in einem Museum, einer Kirche… Es ist gewissermassen ja auch ein kommerzieller Raum, ein gegebener Raum, somit hat jeder Raum seine Qualitäten, auf die ich eingehen möchte. Evelin und ich kennen uns schon seit Jahren. Und deshalb kenne ich den Raum sehr gut und sie meine Arbeiten. Sie hat gewisse Präferenzen, welche sie ausstellen möchte. Bei der aktuellen Ausstellung «Tuchfühlen», in der es sich um Themen handelt wie Verletzlichkeit und Wehrhaftigkeit, oder um die Frage nach Täter und Opfer, das Ertasten des Gegenübers, choreografiere ich meine Werke so in den Raum, damit ich meine inneren und äusseren Geschichten am besten erzählen kann.

NR: Warst du schon mal in einer Diskrepanz wegen Kunst und Geld?
RL: Nein, Kunst verkaufen ist geil (lacht). Ich bin wie ein Unternehmer, nebst meiner Atelierarbeit wo ich umsetze, prozessiere, auch zweifle oder stecken bleibe, sehe ich es als meine Aufgabe, dass ich meine Kunst auch veräussern kann. Zu sehen, wie die eigenen Werke Menschen berühren, ist das Schönste. Diese Verbundenheit zu spüren. Und Geld ist natürlich dennoch wichtig. Auch eine Galerie muss existieren, dies ist eine Realität. Mit Evelyne zu arbeiten ist jedoch sehr angenehm und inspirierend. Da funkt es irgendwie und führt auch manchmal zu Diskussionen, das gehört aber dazu.

NR: Wie sieht es beim «Kunst und Bau» aus? Hast du dort viel Freiheiten?
RL: Das kommt ganz auf den oder die Auftraggeber*in an oder den Wettbewerb, zu dem man eingeladen wird. Wenn eine Institution direkt Kontakt mit mir aufnimmt, entspricht ihr meine künstlerische Sprache schon im Vorfeld. Die grosse Herausforderung für den Künstler oder die Künstlerin ist jedoch, auf diese Institution einzugehen. Eine Schule ist etwas ganz anderes wie ein Altersheim oder eine Industrie.

NR: Welche Künstler*innen inspirieren dich?
RL: Künstler*innen inspirieren mich vor allem in ihrer Biografie. Francis Bacon und Louise Bourgeois sind zwei, welche sich auch stark mit existenziellen Fragen beschäftigt haben. Ich fühle mich ihnen auf eine Art verbunden.

NR: Francis Bacon und Louise Bourgeois sind zwei Künstler*innen mit starken, intensiven Ausdrucksformen. Warum gerade die zwei? Was verbindet dich mit ihnen?
RL: Ich habe mir diese Frage auch schon gestellt. Auf eine gewisse Art handelt es sich um eine Form von Zerfleischung, dieses Ringen und Kämpfen im Leben der zwei Kunstschaffenden.

NR: Wir sehen viele Wölfe in der Galerie. Bist du mal einem begegnet?
RL: Ausser im Zoo leider noch nicht. Obwohl, wäre ein Traum, so morgens beim Joggen. Aber ich weiss nicht, ob ich dann mit aufgeklapptem Sackmesser rennen müsste (lacht). Aber der Wolf ist mir sehr nah, schon seit Jahren begleitet er mich in meinem Schaffen.

NR: Und warum zum Beispiel eine Schlange?
RL: Dies ist ein Objekt meiner mythologischen Serie. Die Schlange als Schöpferin und gleichzeitig als Zerstörerin.

NR: Seit einigen Jahren sind Menschenfiguren in deinem Schaffen nicht mehr präsent, weshalb?
RL: Für mich ist der Mensch nach wie vor präsent, in jeder Arbeit ist er präsent, aber nicht sichtbar. Ich habe nach Jahren menschenfigurativer Arbeit gemerkt, dass mir das Darstellen der menschlichen Figur ein zu direkter Akt ist. Mit Objekten als Attribute oder Trophäen schaffe ich ein Vakuum, eine Spannung, ein Geheimnis. Es ist nicht so offensichtlich, lässt Raum für Interpretationen.

NR: Gäbe es eine Epoche, in die du gerne Reisen würdest? In die Antike?
RL: Ich finde die Antike interessant, würde mich jedoch nicht in dieser Epoche zurückversetzen wollen, da ich sehr wahrscheinlich geköpft worden wäre vom Herrscher oder der Herrscherin, weil ich diese zu genau porträtiert hätte. Damals gab es ja auch schon ein idealisiertes Bild. Mich würden vor allem die Romanik und Gotik interessieren. Ich denke mir oft, da wäre ich gern eine Fliege und würde in diesem Grossstadt-Sumpf eine Runde drehen und einfach beobachten.

NR: Was bedeutet für dich Performance?
RL: Sie ist ein wichtiger Bestandteil meiner Arbeit, sie gehört zu mir. Für mich ist Performance wie eine bewegte Skulptur, da verstehe ich mich auch als Bildhauer, nur dass ich darin selber zum Attribut werde, diese mit meinem Körper forme. Ich habe die Wichtigkeit dieser Kunstform wiederentdeckt, als ich 2016 meine Residenz in New York hatte. Das war spannend dort, du gehst in der Menge der Menschen völlig unter! Ich konnte dort zum Beispiel Bäume umarmen und keinen hat’s interessiert (lacht)!

NR: Was bedeutet für dich gute Kunst?
RL: Für mich ist Kunst gut, wenn zwischen der Künstlerin, dem Künstler und seinem/ihrem Werk eine Transformation geschieht, die Intention der Arbeit existenziell wird. Bei Francis Bacon und Louise Bourgeois spüre ich eine Spannung bei ihren Werken. Das begrenzt sich auch nicht auf irgendwelche Genres oder Epochen, obwohl ich mich mehr zur gegenständlichen Kunst hingezogen fühle.

NR: Was macht deine Kunst, für dich?
RL: Ja, sie erfüllt und befreit mich. Ich glaube, könnte ich aus irgendeinem Grund keine Kunst mehr machen, zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen, würde ich immer noch Kunst machen. Sie begleitet mich durch mein Leben.

Herzlichen Dank an Rochus und Eve, dass wir bei euch vorbei schauen und schwatzen durften. Die Galerie Vitrine hat – eben – eine grosse Vitrine, da kann man gut mal beim vorbeigehen reingucken und die Werke von Rochus Lussi bestaunen.

Bild: Nique Nager